Seit 1791 beschäftigte sich Johann Wolfgang von Goethe intensiv mit der Farbenlehre und veröffentlichte als Ergebnis im Jahre 1810 sein Buch „zur Farbenlehre“. Dabei bezog sich der weltberühmte Schriftsteller vor allem auf die Referenzsysteme von Aguilonius, Waller, Newton, Runge, Chevreul und Bezold.

Goethe war neben seiner Liebe für die Literatur schon früh an den Naturlehren interessiert und eignete sich daher umfangreiches Wissen an. Dabei wollte er nach eigenen Angaben alle Zweige der Naturlehren in sein Werk miteinbeziehen, um eine „vollkommenere Einheit des physischen Wissens“ zu erreichen.

By Johann Adam Kern (1750-1800) [Public domain], via Wikimedia Commons

Das Interesse an einer Systematisierung der Farben entstand aus den damals für Goethe vorherrschenden Bedingungen in der Kunst. Auf einer Reise durch Italien missfiel ihm vor allem das chaotische Verständnis der Künstler von der Farbenlehre, sodass er beschloss diesem entgegenzuwirken.

Goethes System der Farbenlehre

Im Gegensatz zu Newton, beschreitet Goethe bei der Klassifizierung der Farben einen anderen Weg. Seine Farbtheorie baut auf elementaren, polaren Gegensätzen von Hell und Dunkel auf; dabei stellen alle Farben „Grenzphänomene“ zwischen Licht und Finsternis dar.

Goethes Widerspruch zu Newton resultiert aus der Annahme, dass Farben aus der Mischung von Helligkeit und Finsternis, also im Schatten, entstehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Addition von Spektralfarben niemals weißes Licht ergeben kann.

Als reine Malfarben geht Goethe lediglich von Rot, Blau und Gelb aus. Da unsere Augen, nach dem Prinzip des Sukzessiv-Kontrastes beim Betrachten einer Farbe selbst die Komplementärfarbe bildet, stellt Goethe die Farben, sich in Paaren diametral gegenüberstehend, in einem Kreis dar.

By Luestling at de.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons – Göthe unterscheidet zwischen Plus- und Minusseite

Weiterhin unterscheidet der Schriftsteller zwischen der Minus- und Plusseite: die linke Plusseite repräsentiert die warmen, hellen Farben, während die rechte Minusseite von kalten und dunklen Tönen gespickt ist. Purpur, die nach Goethe „höchste“ Farbe, stellt die obere Spitze des Kreises dar, während Grün (dessen Komplementärfarbe) als Gegenpol am unteren Teil des Kreises angeordnet ist.

Psychologischer Charakter der Farben als Teil von Goethes Farblehre

Ein Teil von Goethes Farbenlehre ist dabei der psychologische Charakter, den der Schriftsteller den verschiedenen Farben zuspricht. Nach seiner Angabe entsprechen die Farben der Plusseite einer Stimulierung und werden daher mit Adjektiven wie „regsam“, „lebhaft“ und „strebend“ betitelt.

Dabei assoziiert er insbesondere mit der Farbe Gelb die Attribute „prächtig“ und „edel“.

Auf der anderen Seite herrscht auf der Minusseite eine gewisse „Unruhe“: die Farbe Blau vermittelt laut Goethe das Gefühl von Kälte.

Darüber hinaus steht die gesamte linke Seite des Kreises für Wärme, Kraft und Abstoßen. Im Gegensatz dazu verbindet der Schriftsteller mit der Minusseite Beraubung, Schatten, Schwäche und Anziehen.

Blau vermittelt laut Göthe das Gefühl von Kälte

Seine übergeordnete Absicht mit dieser Klassifizierung bestand darin, die „sinnlich-sittliche Wirkung“ der einzelnen Farbe auf das Auge und dessen Wirkung auf das Gemüt zu ermitteln. Farben vermitteln demnach für Goethe sinnliche Qualitäten.

Diesen ästhetischen Charakter galt es zu systematisieren und damit Newtons mathematischen bzw. naturwissenschaftlichen Ansatz zu überwinden bzw. entsprechend zu erweitern. Den Farben diese fast transzendentale Form von Sinnlichkeit zuzusprechen, widersprach vor allem den Naturwissenschaftlern seiner Zeit und zog entsprechend viel Kritik nach sich.

Obwohl Goethes Farbenlehre die heutige Farbenlehre in hohem Maße beeinflusst hat, wurde seine Arbeit zeitweise komplett abgelehnt. Dies ist vor allem auf die konträre Herangehensweise an das Phänomen der Farben im Vergleich zu dem wissenschaftlichen Vorgehen von Newton zurückzuführen.

Jedoch hat vor allem sein Beitrag zur psychologischen Wirkung von Farben überdauert. Aus heutiger Sicht entspringen Goethes und Newtons Theorien aus zwei verschiedenen sowie unvereinbaren Weltanschauungen und müssen konsequenterweise eher nebeneinander im historischen Kontext, anstatt gegeneinander konkurrierend betrachtet werden.